Ebenso wie die anderen Elemente des gegenwärtigen kulturellen Zusammenhangs befindet sich die Familie zu ihnen wie zum Ganzen nicht bloß in einem fördernden, sondern auch in einem antagonistischen Verhältnis. Wenn selbst in der Blütezeit der bürgerlichen Ordnung das gesellschaftliche Leben nur unter den größten Entbehrungen für die Mehrzahl der Menschen sich erneuert hat, so war die Familie ein Ort, wo sich das Leid frei ausgesprochen und das verletzte Interesse der Individuen einen Hort des Widerstands gefunden hat. Die Verdinglichung des Menschen in der Wirtschaft zur bloßen Funktion einer ökonomischen Größe, des Vermögens, oder einer technisch geforderten Hand- oder Kopfarbeit setzt sich zwar auch in der Familie fort, soweit der Vater zum Geldverdiener, die Frau zum Geschlechtsobjekt oder zur häuslichen Leibeigenen und die Kinder, sei es zu Erben des Vermögens oder zu lebendigen Versicherungen werden, von denen man alle Mühe später mit Zinsen zurück erwartet. Im Gegensatz zum öffentlichen Leben hat jedoch der Mensch in der Familie, wo die Beziehungen nicht durch den Markt vermittelt sind und sich die Einzelnen nicht als Konkurrenten gegenüberstehen, stets auch die Möglichkeit besessen, nicht bloß als Funktion, sondern als Mensch zu wirken. Während im bürgerlichen Leben das gemeinschaftliche Interesse, selbst wo es wie bei Naturkatastrophen, Kriegen oder der Unterdrückung von Revolutionen nicht durch Vertrag vermittelt ist, einen wesentlich negativen Charakter trägt und in der Abwehr von Gefahren sich betätigt, hat es in der Geschlechtsliebe und vor allem in der mütterlichen Sorge eine positive Gestalt. Die Entfaltung und das Glück des anderen wird in dieser Einheit gewollt. Dadurch entsteht der Gegensatz zwischen ihr und der feindlichen Wirklichkeit, und die Familie führt insofem nicht zur bürgerlichen Autorität, sondern zur Ahnung eines besseren menschlichen Zustands. In der Sehnsucht mancher Erwachsenen nach dem Paradies ihrer Kindheit, in der Art, wie eine Mutter von ihrem Sohn, auch wenn er mit der Welt in Konflikt gekommen ist, zu sprechen vermag, in der bergenden Liebe einer Frau für ihren Mann sind Vorstellungen und Kräfte lebendig, die freilich nicht an die Existenz der gegenwärtigen Familie gebunden sind, ja, unter dieser Form zu verkümmem drohen, aber im System der bürgerlichen Lebensordnung selten eine andere Stätte haben als eben die Familie.
(Max Horkheimer, Autorität und Familie, 403-404)